Artist Statement - Gregor Gaida

Trigger and motive of my work are the friction and unease that arise from the contradictions in current and historical context. In my continuing examination of the events of the day, artistic concepts are developed that congeal into single images.

The basis is often formed by photographs I find in magazines, books and other visual media. The focus of my interest lies on composition and the protagonists’ pose in the images, as well as the openness in interpreting their actions. A special meaning lies in the gesture that indicates cultural, social or political discrepancies.

From my inner mindset which states that any man can develop in many directions as long as he is subjected to certain conditions, the idea originated to extract single elements from the photographs and crop them from their context. Thus isolated, the images’ original message collapses and turns into a different, or many different, possibilities of association. The found footage is often no more than an impulse that is no longer discernible in the further development of the shape.

Analogous to photography, my objects are three-dimensional snapshots. The characters are frozen in movement and often cropped along imaginary image borders. I transport the fragmented character of photos into the third dimension. Simultaneously, when dealing with color and options of shaping, painterly characteristics appear. Thus, the life-sized special interventions are formally attributed to sculpture but are equally part of painterly and photographic categories.

The single elements are taken from reality, but I have altered them or taken them from their context. The result remains a translation of reality. The sum of my perception is concentrated in a new shape that is different from the original reality but equivalent to my inner point of view.

The works reflect reality in two ways. On the one hand, they relate to it by being an object in space. On the other hand, they reproduce the ambiguity of reality for the meaning is not delivered along with the shape.

Every work stands for itself, but relations between them can be established. I repeatedly take on different thematic strings which I also combine with each other. The “flag” for example is screen for and symbol of identity and ideology on a personal and national level. It has influence on our self- and outside-perception. Its ambivalent character combines positive notions such as security, tradition, group affiliation, culture, self-esteem with a greater ensemble, but also negative ones like fundamentalism, bondage, peer pressure, war and governmental affectation of sovereignty. In these and other constellations, the „pathos“ is deliberately debilitated and turned into the subject of irony.

In my work, the motive of the child is a symbol not only for what is in the present but also always for what will be in the future and therefore stands for duration. The impact of a symbolic action is perceived in the present and remains perceivable for a long time.

The main motive of the life-sized sculptures is the human being. Its depiction is detailed and lifelike but not photorealistic. Clothes, hair and body remain stylized to a certain degree and the anatomy is often distorted.

The material is wood, aluminum, polyester and acrylic resin. The surrounding space becomes material just as the wood or the color. In the combination of different material, their points of contact have a special meaning. And in the same way does my dialogue and interaction with the material as the single works are derived from a sensory process of creation.

The single works can be examined from different perspectives such as theme, materiality, shape or composition.

The emphasis varies with each work. Some works are dominated by the material through their haptics and specific visual appearance, their manufacturing process and qualities. In others, the theme as a symbol or story is in the foreground.

Many of my works combine positively charged components which in their sum and constellation, however, have a negative impact. The often aestheticized shape and the object-like character of my works in inconsistent with a narrative. The image I create wavers between attraction and repulsion.

The narrative character of the figurative, however, plays a vital role. I tell stories without spelling them out. Merely the possibility of a story is suggested. The created moment is chosen in such a way that it is not, yet, decipherable.

The connection and spaces between persons, motives, signs and symbols are open and undefined and so from an allegory of the events of present, past, and future, days.
 


Realität als Material


Die Skulpturen von Gregor Gaida zeichnet eine Genauigkeit und eine Liebe zum Detail aus, die dazu führt, dass die lebensgroßen, aus Holz gefertigten Figuren seltsam lebendig anmuten. Die anatomischen Einzelheiten – Muskeln, Knochenbau, sogar die Physiognomie der Gezeigten – sind derart fein ausgearbeitet, dass es nicht verwundern würde, wenn die dargestellten Menschen sich plötzlich bewegen würden, um sich aus der Haltung zu befreien, in der sie unweigerlich verharren müssen. Was sie wohl tun würden, fragen wir uns im Anblick der in einem Fluss von Bewegung gebannten Figuren, und finden unzählige Möglichkeiten dafür. Dennoch geht zugleich eine seltsame Ruhe und eine geradezu klassische Zeitlosigkeit von den Skulpturen aus, die vor allem darauf beruht, dass Gaida die materielle Substanz der Figuren – das Holz – zwar mit Farbe verdeckt, aber keineswegs vollständig verbirgt. Neben der feinen Holzmaserung scheinen nämlich immer wieder Astlöcher und kleinere Unregelmäßigkeiten durch die überwiegend weiß lasierte Oberfläche von Haut, Haaren und Kleidung hindurch. Anders als Pygmalions makellos weiße, marmorne Geliebte, deren Haut perfekt wie Alabaster scheint, gewinnen die Figuren Gaidas ihre ambivalente Lebendigkeit auch dadurch, dass ihre innere Substanz gleichsam offen gelegt wird. Gaida treibt die Nähe zur sichtbaren Wirklichkeit also keineswegs so weit wie Duane Hanson, so dass die Skulpturen unmöglich mit der Realität zu verwechseln sind. Dem Holz ist vielmehr eine organische Vitalität zu eigen, die durch die Weißung zwar gebrochen wird, aber mit Wachs oder ähnlichem synthetischen Material niemals zu erreichen wäre.

Text von Susanne Buckesfeld, Galerie Epikur 2007

 

Realität und Wirklichkeit

„Wir müssen unbedingt Raum für Zweifel lassen, sonst gibt es keinen Fortschritt, kein Dazulernen. Man kann nichts Neues herausfinden, wenn man nicht vorher eine Frage stellt. Und um zu fragen, bedarf es des Zweifelns.“ (Richard P. Feynman) Das Zweifeln, das Nicht-Genau-Wissen kann als Leitfaden des bildhauerischen Werks Gregor Gaidas benannt werden. Zweifeln bedeutet eine Situation, eine Verhaltensweise, eine Gegebenheit oder gar eine Wahrheit zu hinterfragen. Gaida bildet in seinen Skulpturen Momente des menschlichen Handelns ab, die viele Fragen aufwerfen und keine Antworten geben. Doch ihre Situations- und Handlungsmomente sind weder durch eine Örtlichkeit noch durch ein Zeitlichkeit defi niert. Die Protagonisten der hier gezeigten Arbeiten sind Kinder. In Lebensgröße zeichnet der Künstler ihre Physiognomie in Holz präzise nach, um somit seinem Anspruch einer fotografi schen Wiedergabe in der Bildhauerei und damit dem Individuum gerecht zu werden. Im Gegensatz dazu erfährt die Oberfläche nur eine zurückhaltende, größtenteils transparente Farblasur, die den Charakter und die Struktur des klassischen Bildhauer-Materials Holz gleichsam einbezieht und verfremdet. Durch die Ambivalenz der bildnerischen Ausführung, der naturnahen Wiedergabe der menschlichen Figur einerseits und dem Verweis auf ihre künstliche Herstellung andererseits, verweist Gaida auf die Vielschichtigkeit seiner Arbeiten: In Anlehnung an die Forschungen des oben zitierten Feynman, der im Rahmen der Quantenphysik die Theorie der „sum-over histories“ aufstellte, entwickelt Gaida seine Philosophie der „Summe der Geschichten/sum-over histories“ und verleiht ihr in seinen Skulpturen regelrecht Gestalt. So geht Gaida in seinem theoretischen Ansatz davon aus, dass das menschliche Handeln durch eine Summe von Ereignissen und Ursachen vorbestimmt ist. Der in den Skulpturen Gaidas abgebildete singuläre Augenblick impliziert folglich nicht nur die Summe der vorhergehenden Ursachen, sondern auch alle aus diesem Moment resultierenden Möglichkeiten. Gaida selbst kennt diese Summe der Geschichten ebenfalls nicht. Seine Arbeit erwächst aus der Beobachtung, aus der Hinterfragung aktueller Geschehnisse aller gesellschaftlich relevanter Bereiche, die von der unmittelbaren persönlichen Erfahrung bis hin zu globalen Problemstellungen reichen. Insbesondere jedoch prüft Gaida gesellschaftliche Wertesysteme. So irritiert der Künstler etwa mit seiner Skulptur „Summe der Geschichten“ (2006), die den Betrachter an Kinderfi guren heranlockt, die in ein gemeinsames Spiel vertieft zu sein scheinen.
Die der Kindheit implizite Unschuld und Reinheit wird verstärkt durch die transparent-weiße Lasur und eine stark reduzierte Bekleidung. Gaida verweist damit nicht nur auf die Schutzlosigkeit der beiden, sondern gleichzeitig auf ein Höchstmaß an Beeinfl ussbarkeit, die nicht nur auf die sozialisierende Gesellschaft, sondern auch auf die konkrete Situation zu beziehen ist. Erst der zweite, nähertretende Blick des Betrachters verdeutlicht das Ausmaß der scheinbar spielerischen Szene: In absoluter Ebenbürtigkeit mutieren die Spielgefährten zu Gegnern. Ihre Gesichtsausdrücke lassen gleichsam ein Erstaunen über die Brisanz und Konsequenz ihrer Handlung und eine Ergebenheit in eben diese Folgen erahnen. Gaida aktiviert durch seine Skulpturen die menschliche Vorstellungskraft, die in der Suche nach der Vielfalt der Möglichkeiten mitunter bis an ihre Grenzen geführt wird. Doch bei aller Ambivalenz und Indifferenz, die die Skulpturen in uns auslösen ist doch eines sicher: wir beginnen
zu zweifeln...

Asja Kaspers, Galerie Epikur, 2006